Ludwig
Richters "Lebenserinnerungen eines deutschen Malers" nehmen innerhalb der
umfangreichen Memoirenliteratur des neunzehnten Jahrhunderts einen besonderen Platz ein.
Die Tatsache, dass dieses Buch neben Goethes "Dichtung und Wahrheit" und Wilhelm
von Kügelgens "Jugenderinnerungen eines alten Mannes" die wohl populärste
Selbstdarstellung deutscher Zunge ist, hat ihre Gründe nicht nur in dem anmutig
beschaulichen Plauderton, der sie auszeichnet. Unbestritten ist der hohe literarische Rang
des Werkes, ist die faszinierende Erzählergabe seines Autors. Der Geist des bürgerlichen
Humanismus war - wenn auch durch die politischen Verhältnisse in seiner Wirksamkeit
stark eingeschränkt und romantisch gebrochen - Grundlage seiner Gesinnung so wie sich
sich in seinen künstlerischen und literarischen Äußerungen spiegelt.
Ludwig Richters
Lebenszeit umfasst die ersten acht Jahrzehnte des neunzehnten Jahrhunderts. Als Kind
erlebte er die Wirren der napoleonischen Kriege, als Greis den deutsch-französischen
Krieg und die mit "Blut und Eisen" erkämpfte Einigung der deutschen Stämme zum
"Kaiserreich der Deutschen". Der zwischen diesen Ereignissen liegende Abschnitt
politischer Geschichte ist geprägt von den vergeblichen Bemühungen der progressiven
Kräfte in Deutschland, den bürgerlichen Nationalstaat als demokratische Republik zu
schaffen und im Mehrheitswillen des Volkes zu verankern. An diesen Bemühungen,
gipfelnd in den revolutionären Erhebungen von 1850 und 1848/49, nahmen in ständig
zunehmendem Masse das gerade in Sachsen sich rasch entwickelnde Proletariat teil..
Doch herrschten im kleinen sächsischen Königreich noch bis 1830 feudal-patriarchalische
Zustände. Eine Stein-Hardenbergsche Reform wie in Preußen hatte es hier nicht gegeben.
So befanden sich die schon weit entwickelten Produktivkräfte in einem kaum länger
erträglichen Widerspruch zu den rückständigen Strukturen der Gesellschaft und der
staatlichen Administration. Erst die Volkserhebung 1830/31 veranlasste die wettinische
Monarchie endlich zu gewissen Zugeständnissen. Die Verfassung von 1831 sowie die ihr
folgenden Reformen der Verwaltung, der Landwirtschaft, des Finanz- und Schulwesens
beseitigten einen Teil der hemmenden Barrieren, und der Beitritt Sachsens zum Deutschen
Zollverein (1834) öffnete den Weg zur Ausweitung des Handels. Mit Dampfschiff, Eisenbahn
und Maschine hielt die industrielle Revolution in den dreissiger Jahren Einzug in Sachsen
und führte die Ideen der Frühromantik, die gerade in Dresden eine Heimstatt hatten, in
ein anachronistisches Abseits.
Nach der
niedergeschlagenen Revolution von 1848/49 lastete die Restauration schwer auf dem
politischen und geistigen Leben Dresdens. Auch in den bildenden Künsten hatten sich die
Verhältnisse auf ein konventionelles Mittelnass eingependelt.
Allein Richters
Kunst war durch ihre enge Verbundenheit mit Natur und Volk der Heimat vor Sterilität
bewahrt geblieben. Seine zahlreichen Schüler, die er im Landschaftsfach unterrichtete,
verehrten ihn. Im Laufe der Jahrzehnte ist eine stattliche Anzahl bedeutender Talente aus
seinem Atelier hervorgegangen, darunter Heinrich Franz-Dreber, Eduard Leonhardi, Victor
Paul Mohn, Oehme, Rudolf Schuster, Albert Venus und Albert Zeh. Seit dem Tode seiner Frau
im Jahre 1854 liess Richters Schaffenskraft nach. Ein Augenleiden und nervöse Beschwerden
machten 1860 eine Heilkur in Bad Kreutz am Tegernsee notwendig. Das letzte Jahrzehnt
seines Schaffens blieb ausschliesslich der zeichnerischen Tätigkeit für den Holzschnitt
vorbehalten. Von 1873 an erlaubte ihm sein sich verschlimmerndes Augenleiden keine
künstlerische Arbeit mehr. Am 19. Juni 1884 starb Ludwig Richter in seinem Hause in der
Johannesstraße zu Dresden. |