Die
grossen Dresdner Kulturinstitute sind alle etwa gleich alten Ursprungs. Liegt für die
heutige Sächsische Staatskapelle (vormals Hofkapelle) eine Gründungsurkunde von 1548
vor, unterzeichnet vom Kurfürsten Moritz, so gehen die beiden anderen Kern-Gründungen
auf Kurfürst August zurück, der seinem früh verstorbenen Bruder Moritz auf den Thron
folgte. Die eine davon ist die Kurfürstliche Bibliothek, die andere die Kunstkammer.
Kennt man für letztere das Jahr 1560 als Ausgangspunkt, so kann für die Bibliothek nur
auf Jahreszahlen zurückgegriffen werden, die sich auf prächtig verzierten Buchdeckeln
befinden, begleitet von den Initialen des Kurfürsten August und teilweise auch von seinem
Bildnis. 1553 das Jahr des Regierungsantritts ist als frühestes zu finden,
doch wird allgemein 1556 angesetzt als jenes Jahr, in welchem erstmals offenbar
planmässig Bücher erworben wurden.
Festzustellen bleibt, dass dies ebenso wenig die ersten Bücher am
kursächsischen Hof gewesen sind, wie etwa das höfische Musikleben 1548 begann oder
Gegenstände der Kunst, der Wissenschaft, des Kunsthandwerks erst ab 1560 bei Hof Aufnahme
fanden. Die genannten Gründungsjahre bezeichnen lediglich den Ausgangspunkt einer jeweils
kontinuierlichen Pflege, die über gute und schlechte Zeiten, ja über Katastrophen hinweg
bis heute lebt und den internationalen Ruf Dresdens als Kulturstadt entscheidend
beeinflusst.
Für die Bibliothek sind folgende Charakteristika massgebend:
Begründet wurde die Sammlung sozusagen als Arbeitsmittel
des Kurfürsten. Ihre Funktion als Lehrbuchsammlung für die Prinzen kam bald hinzu
(parallel verhält es sich mit dem Lehrmittelcharakter der Kunstkammer). Die von Anfang an
aufwendige, künstlerisch hochwertige Gestaltung der Einbände demonstriert die immanente
Repräsentationsfunktion der Sammlung (wie sie vor allem auch der Hofkapelle eigen war).
Im Gegensatz zu anderen Hofbibliotheken hat die Kurfürstliche Bibliothek zu Dresden
(später Königliche Bibliothek), solange sie von der Schatulle des sächsischen
Herrschers unterhalten wurde, ihren Bestand ausschliesslich durch ordentlichen Kauf
vermehrt. Schenkungen und Erbschaften ausgenommen, ist ihr kein unbezahltes Buch
zugegangen. Als zum Beispiel im Gefolge der Reformation Klöster liquidiert und deren
Bibliotheken verfügbar wurden, haben die sächsischen Kurfürsten ihre Universitäten
(vor allem Leipzig), die von ihren gegründeten Fürstenschulen (Pforta, Meissen, Grimma)
sowie diverse Stadtschulen mit dem klösterlichen Buchbestand beschenkt.. Die naheliegende
Übernahme in den eigenen Besitz fand nicht statt.
Von Anfang an wurde zwischen der Staats-Bibliothek und privaten
Büchersammlungen der Wettiner unterschieden. August selbst besass eine Kollektion, die er
sogar auf reisen mit sich nahm und die deshalb besonders hergerichtet war (schmale, raum-
und gewichtssparende Einbände, dazugehörige Transportbehältnisse). Sie ging später in
die Staats-Bibliothek ein, während die private Büchersammlung seiner
Gemahlin, der geistig äusserst regsamen Anna, einer gebbürtigen dänischen Prinzessin,
nach dem Tod 1590 der Kunstkammer zugewiesen wurde.
Es ist dies ein immer wieder zu beobachtendes Phänomen: Die
Zuständigkeitsgrenzen der einzelnen kurfürstlich-königlichen Sammlungen, bis hin zum
Staatsarchiv, sind häufig nur ungenau eingehalten worden. Es gehörte ja alles in
denselben Besitz und unter dieselbe Verwaltung, ganz gleich, wo es abgelegt
wurde. Noch heute findet man Jacob Krause-Einbände im Staatsarchiv und bei den
Staatlichen Kunstsammlungen, dagegen Gemälde, Kunstblätter, Karten und Aktenstücke in
der Staatsoper, im Amt für Denkmalpflege oder in der Landesbibliothek.
Das Stichwort Jacob Krause ist gefallen: Er benennt den
bedeutendsten deutschen Renaissance-Buchbinder, der sein Lebenswerk, unterstützt und
fortgesetzt durch seinen Mitarbeiter Caspar Meuser, in kursächsischen Dienst vollbrachte
und zur Kostbarkeit der frühen Churfürstlichen Bibliothek erheblich beitrug. Die
Einbände von Krause und Meuser haben auch in späteren Zeiten ihre Betrachter entzückt
und in unserem Jahrhundert den Anstoss dafür gegeben, die Einbandforschung als
Wissenschaftszweig zu begründen.
Unter Kurfürst Augusts Nachfolgern
gedieh die Bibliothek teils mehr, teils weniger, zumal sie lange Zeit unter der
Aufsicht der Oberhofprediger stand, die eine oft restriktive Zensur übten. Interessant
aber ist, dass die Nutzung für höfische und bürgerliche Kreise periodenweise sehr
grosszügig ermöglicht wurde. Weniger dagegen bezog man die Bibliothek in die
Besichtigungsrundgänge für Freunde ein.
Dies Letztere kam erst in Gang, seit Friedrich August I. regierte
(Kurfürst seit 1694). Bekanntlich hat der sogenannte starke August alle
kurfürstlichen (alsbald zugleich königlichen) Sammlungen
und Kulturinstitute enorm gefördert und sowohl deren Spezialisierung als auch deren
Vermehrung betrieben. Die Bibliothek, seit ihrer Begründung im Residenzschloss
untergebracht, wo der Platz längst nicht mehr ausreichte, durfte 1728 drei Pavillons des
Zwingers beziehen. Zuvor hatte sie allerlei artfremdes Sammlungsgut an die Zuständigen
Sammlungen abgegeben und von diesen entsprechendes empfangen (dass die strikte Trennung
nicht von Dauer war, haben wir schon erwähnt). Der Zwinger wurde somit , als Sitz der
reichhaltigen Staats-Bibliothek, des sächsischen Bildarchivs
(aufgeteilt auf Kupferstich-Kabinett und Kurfürstliche Bibliothek) und des
Mathematisch-Physikalischen Salons, zu einem der frühesten wissenschaftlichen Museen
Europas. Indessen hatte die Bibliothek bedeutenden Zuwachs erhalten durch den Ankauf
etlicher Privatbibliotheken von Gelehrten und adligen Sammlern, auch die Bibliothek des
Herzogs Moritz von Sachsen-Zeitz, mit dessen Tod eine sächsische Seitenlinie erlosch und
abgetrenntes Territorium wieder an Kursachsen fiel, gehörte dazu. Auf diese Weise konnte
die Dresdner Bibliothek ihren Bestand vor allem retrospektiv ergänzen und weit in die
Zeit vor ihrer Gründung ausdehnen. Die Zahl ihrer Inkunabeln (d.h. Bücher aus dem 15.
Jahrhundert als der frühesten Periode des Buchdrucks mit beweglichen Lettern) wie auch
ihr Besitz an mittelalterlichen Handschriften hatte erheblich zugenommen. Zeitgenössische
Drucke wurden nun in grossem Umfang gekauft.
Im Ergebnis alles dessen war der Zwinger bald wieder unzureichend. Er
entsprach wohl ohnehin mehr musealen als bibliothekspraktischen Anforderungen, denn
Bibliothekare klagten, dass das Hin und Herschaffen der Bücher über den
Zwingerhof bei schlechter Witterung nicht nur beschwerlich, sondern für die Bände auch
schädlich sei. Also scheint die Benutzung rege und wieder relativ grosszügig gewährt
gewesen zu sein.
Die komplexe Erwerbung der Bibliotheken der Grafen Brünau (bei
welchem u. a. Johann Joachim Winckelmann als Bibliothekar tätig gewesen war) und Brühl
sowie einiger weiterer Sammlungen brachte ab 1764 einen geballten Zugang von weit über
100.000 Bänden und die zwingende Notwendigkeit, eine neue, angemessene Unterbringung zu
suchen. Eine solche wurde gefunden und kostenaufwendig hergerichtet im Japanischen Palais
am Neustädter Elbufer. 1786 erhielt sie den Status einer öffentlichen Bibliothek, d.h.
mit täglichen Öffnungszeiten für ein auch ausserhöfisches Publikum, gemäss der
Inschrift am Portalgiebel des Palais Museum usui publico patens (=der
öffentlichen Nutzung freigegeben).
Unverändert bleibt die Integration der Bibliothek in die Verwaltung
der Museen. Eine Lokalunion besteht so lange, bis sich die ausdehnende Bibliothek die
Skulpturen-, die Porzellansammlung und alles Übrige (z. B das berühmte, 1830 in das
Jagdschloss Moritzburg überführte mexikanische Federzimmer) hinausdrängt. Der Schauwert
der Bibliothek im Japanischen Palais ist ihrer inhaltlichen Bedeutung zweifellos adäquat.
Gegen 1800, als sie nächst der Wiener als
die reichste deutsche Fürstenbibliothek
gilt, etabliert sich unter Europareisenden folgendes Pflichtprogramm für
Dresden: Man hört die Musikaufführungen der Kurfürstlichen (später Königlichen)
Kapelle in der Katholischen Hofkirche und man besichtigt sowohl die Gemäldegalerie als
auch die Kurfürstliche (später Königliche) Öffentliche Bibliothek. Der Besuch der
weiteren königlichen Sammlungen ist fakultativ, also dem Geschmack und
Interesse der Besucher anheimgestellt. Immerhin betrifft dies die Sammlungen wie das
Grüne Gewölbe, die Antiken-, die Porzellan- und die mathematisch-physikalische Sammlung!
Um diese zeit allerdings wird mit dem Herausstreichen des
museal-ästhetischen Aspekts ein wenig kaschiert, dass die Bibliothek ihre führende
Position in Deutschland eingebüsst hat. Die weitaus besser dotierten königlichen
Bibliotheken in Berlin und in München sind nach vorn gerückt.. In Dresden bemüht man
sich, einerseits durch Verkauf sogenannter Dubletten (Doppelstücke) den zu schmalen
Erwerbungsetat aufzubessern und andererseits die bisherige Universalität des Sammelns klugerweise aufzugeben zugunsten der
beizubehaltenden Fächer, welche trotz explodierender Buchproduktion (maschinelles Drucken
auf maschinell gefertigtem Papier) angemessen gepflegt werden sollen. Die Einschränkung
des Sammelns bietet sich an durch die Etablierung des Polytechnikums und der Medizinischen
Akademie am Ort mit jeweils unterhaltenen
Fachbibliotheken, die ihrerseits auf diejenigen Sammelgebiete verzichten können, die von
der Königlichen Öffentlichen Bibliothek betreut werden.
Aus den Ereignissen von 1919 geht die SLB hervor als einzige zentrale
Bibliothek des Freistaates Sachsen. Zunächst, wie alle >Sammlungen, den Nöten der
Inflation ausgesetzt, erlebt sie alsbald einen Aufschwung, der sie erneut in die erste
Reihe deutscher wissenschaftlicher Grossbibliotheken rückt. Durch den inneren Umbau des
Japanischen Palais (eine denkmalpflegerische Spitzenleistung damaliger Zeit) und durch
eine weitgehend erneuerte Arbeitsorganisation wird sie zum Muster modernen
Bibliotheksbetriebes und von angehenden wissenschaftlichen Bibliothekaren bevorzugt für
die Vervollständigung ihrer theoretischen und praktischen Ausbildung aufgesucht.
Im Jahre 1947 hat die SLB in einer Kaserne der Albertstadt ihre
Tätigkeit wieder aufgenommen und sich nach Kräften bemüht, Verluste antiquarisch zu
ersetzen sowie den neuen Bestand zu mehren. Mir der (am sächsischen Landtag entstandenen)
Stenographischen Sammlung und der Deutschen
Fotothek (ursprünglich als Sächsische Landesbildstelle begründet) gewann sie zwei
bedeutende Erweiterungen ihres Sammelspektrums und fügte eine dritte hinzu durch den
Aufbau einer rasch wachsenden Phonothek. Insgesamt leistungsfähig und leistungsstark ,
überstand sie die DDR-Zeit relativ glimpflich Sie vermochte sogar, ihren Namen trotz
Auflösung der Länderstruktur zu bewahren und zur Erhaltung des Bewusstseins einer sächsischen Identität
beitragen. Ihre landesbibliothekarischen Funktionen
hat sie nie aufgegeben und war daher gut vorbereitet, als es hiess, den alten Platz
im gesamtdeutschen Biblitotheksgefüge und an der Spitze des sächsischen
Bibliothekswesens wieder einzunehmen. Eines der schwersten Handicaps, unter denen die
Sächsische Landesbibliothek seit 1945 leidet, ist das Provisorium ihrer Unterbringung an
der Stadtperipherie. Sie wartet als einzige der ehemaligen königlichen Sammlungen noch
immer darauf , in das Stadtzentrum zurückkehren zu dürfen. Mit ihren trotz aller
Verluste und Aussenstände imposanten Altbeständen und literarischen Primärquellen, mit
ihren reichen Auskunftsmitteln und vielseitigen Ausstellungen gehört sie in die Nähe der verwandten
Institutionen, in deren wieder vollklingendem Akkord ihre Stimme gegenwärtig noch zu
leise tönt.